Mußestunde

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Mußestunde No. 25
ninapraun.substack.com

Mußestunde No. 25

Über den Leistungsdruck. (Der überall lauert, dieses fiese Geschöpf.)

Nina Praun
Mar 25
1
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Mußestunde No. 25
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Vermutlich klappt das hier: richtig erholen.

Anfang der Woche habe ich mit einer Freundin gesprochen, über alles Mögliche, auch über das Arbeiten und das Leisten, und somit über: den Leistungsdruck. Dabei sagte sie in etwa Folgendes: “Und dann habe ich ein schlechtes Gewissen bekommen, weil ich es am Wochenende auch nicht geschafft habe, aber richtig erholt habe ich mich auch nicht…”

Das kennt ja jeder von uns, oder? Irgendeine Aufgabe grollt seit Tagen im Hintergrund und wartet darauf, dass wir sie endlich bezwingen. Und wir? Vertagen und verschieben sie. (Klar. Schließlich grollt sie ja. Entschuldigung, wer befasst sich denn freiwillig mit einer Aufgabe, die grollt?) Dann kommt das Wochenende, wir verschieben die Aufgabe weiter, und dann merken wir am Montag: Mann! Jetzt ist das Wochenende schon wieder vorbei, die Aufgabe habe ich natürlich nicht erledigt - aber richtig erholt habe ich mich auch nicht.

Mist.

Ein Business-Coach würde jetzt sagen: Kein Problem, das haben wir gleich im Griff, wir müssen nur Deine Herangehensweise ändern, Du wirst ab jetzt Anfang der Woche eine To-Do-Liste erstellen, mit drei Dingen, die Du bis Mittwoch erledigen musst; dann bekommst Du am Donnerstag Panik, erledigst alle drei Dinge sofort, hakst sie am Freitag ab - und kannst Dich am Wochenende entspannt erholen.
Ein Mental-Coach würde jetzt sagen: Kein Problem, das haben wir gleich im Griff, wir müssen nur Dein Mindset ändern, konzentriere Dich ab jetzt nicht mehr darauf, was Du nicht geschafft hast, sondern nur darauf, was Du schon geschafft hast, da wird sich jeden Tag was finden, das schreibst Du Dir abends auf, am Freitag liest Du die ganze Liste durch - und kannst Dich am Wochenende entspannt erholen.
Ein Life-Work-Balance-Coach würde jetzt sagen: Kein Problem, das haben wir gleich im Griff, wir müssen nur Deine Prioritäten ändern, Dein Wochenende ist eben zur Erholung da, also schreibst Du am Freitag alles, was Dich sonst so belastet, auf ein Blatt Papier, streichst es dann ganz dick schwarz durch und schmeißt das Papier in den Ofen - und kannst Dich am Wochenende entspannt erholen.

(Sorry für das Coach-Bashing. Das hatte sich da gerade so spontan ergeben, war aber wirklich nur witzig und keineswegs diskriminierend gemeint. Es gibt auch sehr kluge Coaches, keine Frage, ich kenne selbst ein paar.)

Nun gut.

Ich aber sage: Moment, hier zeigt sich sehr wohl ein Problem!

Und zwar dieses: Warum verdammt nochmal haben wir überall so viel Leistungsdruck - selbst beim Erholen? Warum rügen wir uns innerlich dafür, dass wir uns nicht richtig erholt haben?

So weit ist es also schon gekommen. Nicht nur müssen wir uns heutzutage in Sachen Arbeit, Familie, Freundschaft, Gesundheit, Verhalten, Ernährung, Sport und grundsätzlicher Lebenseinstellung permanent optimieren und perfektionieren - wir müssen uns danach auch noch richtig erholen.

(Wobei, so neu ist die Idee ja gar nicht. Die Marketingabteilungen der Urlaubsindustrie halten uns ja schon seit Jahrzehnten vor Augen, wie wir uns richtig erholen sollen: In der Abendsonne den leeren Strand entlang flanieren, stehen bleiben, den Pareo eng um den Körper wicklen, dann vertäumt in die Ferne blicken und seelig lächeln. Hm.)

Und ja, auch ich bin auch so ein Selbstoptimierungs-Depp. (Deppin.) Unfreiwillig, möchte ich betonen! Es ist einfach so passiert. Es ist mir einfach so passiert, als Kind dieser Gesellschaft, dieses Internets, dieser sozialen Medien. Zum Beispiel achte ich darauf, was ich einkaufe, was ich esse, was ich sehe, was ich lese, was ich schreibe; mit wem ich Zeit verbringe und wie viel; wie ich mich davor fühle und danach, was ich sage und was ich nicht sage; ich achte darauf, wann ich schlafe, wie ich schlafe, wie ich mich bewege, wann ich Sport mache; wie ich den Arbeitstag beginne, wie ich ihn ordne, wie ich ihn beende; mit wem ich arbeite und mit wem nicht, was ich tue und was nicht; wie oft ich kreativ bin und wie oft nicht; was mir Spaß macht und was nicht; was mich frei macht und was nicht. Das darauf acht geben reicht aber nicht, bei jedem Punkt nkommt sofort die Frage auf: Was kann ich da besser machen? Wie kann ich was besser machen? Wie kann ich besser sein?

Über all diesen Fragen lastet also: der Leistungsdruck. Die Überzeugung, dass ich alles stets ein wenig besser machen sollte. Könnte. Müsste.

Wieso eigentlich?

Vermutlich bin ich der Meinung, dass, wenn ich so weitermache, irgendwann einmal in ferner Zukunft der perfekte Tag mit einem perfekten Ich anbrechen wird. Der Tag, der von morgens bis abends ein einziges Glücksgefühl ausstrahlt, der weder Zwist noch Gram noch Grimm bringt, an dem die Welt endlich wieder perfekt ist und ich endlich wieder perfekt bin; an dem ich der wunderbare, großzügige, liebevolle, gesunde, kreative, freie und frische Geist (und Körper) bin, der ich gerne wäre (und den ich gerne hätte).

Doch ihr und ich, wir alle wissen: Dieser Tag wird nicht kommen.

Denn wenn ich mir diesen Tag bis ins Detail so vorstelle, wirft sich sogleich ein sanfter Schleier darüber, der anzeigt, dass diese wundervollen Szenen nicht im Hier und Jetzt, sondern weit droben im Paradies verortet sind. (Und wieder: Abendsonne, Schwenk auf weißen Strand, Zoom auf verträumtes Lächeln - und: Cut! Ende. Abspann.)

Er ist also gar nicht real. Er ist reine Wunschvorstellung. Vielleicht sogar eine etwas biedere, wenn ich so darüber nachdenke. Denn wo genau ist denn an diesem Tag der leicht kratzende Zweifel, der mich überkommt, wenn ich den frisch geschriebenen Text lese (der mir aber am nächsten Tag die noch bessere Idee bringt)? Wo ist diese kleine Hürde, die mich Zögern lässt (und die ich eines späteren Tages beschwingt meistere)? Wo ist das leichte Angstgefühl, das mich vor einer großen Veränderung befällt (bevor ich diesen Schritt mutig wage)? Wo ist die Grundsatz-Diskussion, die mich etwas hitzig werden lässt (die aber Wichtiges klärt und dann Versöhnung bringt)?

Und wo verdammt nochmal bleibt an diesem perfekten Tag denn das Bier, das kurz etwas bitter auf der Zunge schmeckt, dann aber ein zartes Rauschgefühlt erwirkt (und am nächsten Tag eben auch einen kleinen Kater)?

Das alles gibt es gar nicht an diesem einen, perfekten Tag in der Zukunft. Wenn man nur die Perfektion der Welt, des Körpers und der Seele im Blick hat, darf nie ein Fehltritt passieren, nie eine Grenzüberschreitung. Eigentlich darf dann gar nichts mehr passieren.

Wie langweilig.

Ich sollte mir wohl zukünftig besser überlegen, von was genau ich eigentlich träume. Was genau ich mir eigentlich wünsche.

(Da fällt mir spontan auf, dass genau diese Frage nach dem “richtigen” Wunsch, im Märchen “Vom Fischer und seiner Frau” erörtert wird. Wobei die Wünsche der Frau schon sehr kapitalistisch-yuppieesk anmuten - aber solche Leute soll es ja heutzutage auch noch irgendwo geben. Die Essenz des Märchens aber ist vollkommen richtig und lautet: Pass auf, was Du Dir so wünschst.)

Puh, und nun merke ich: Jetzt versuche ich auch noch, mein Wunschverhalten zu perfektionieren! Arghh!

Ihr seht schon: Der Leistungsdruck lauert immer und überall. Er ist ein fieses Geschöpf, eiffzientbasiert bis zum Umfallen, jede seiner Bewegungen ist auf höchste Produktivität ausgelegt. Er weiß, er muss uns nur intensiv genug anstarren, schon bekommen wir ein schlechtes Gewissen und denken, dass wir schon viel zu viel Zeit damit verbracht haben, den Leistungsdruck auszuhalten, und in dieser Zeit nicht daran gearbeitet haben, eine noch bessere Version von uns selbst zu werden; er sorgt passgenau dafür, dass wir uns immer weiter optimieren, alle unsere Fehler sezieren und ausmerzen, alles verbessern, was an uns verbesserungswert ist, bis wir irgendwann einmal merken, dass wir noch nicht einmal richtig atmen - bis wir schließlich nach Luft schnappend zu Boden fallen. Dann grinst er, recht selbstherrlich. (Dieser widerliche Egozentriker.)

Deshalb rufe ich nun zum Widerstand auf. Ich sage: Lasst das nicht mit euch machen! Widersteht dem Leistungsdruck!

Duscht Euch nicht, um frisch duftend Euren Mitmenschen die schönste Version von Euch selbst zu präsentieren, sondern duscht Euch, weil ihr den Arbeitsbeginn hinauszögern wollt! Legt Euch mittags nicht hin, um danach wieder frisch gestärkt in den Nachmittag zu starten, sondern macht den Mittagsschlaf nur, weil ihr müde und faul seid! Kocht Euch abends kein Essen, damit ihr alle wichtigen Nähr- und Ballaststoffe zu euch nehmt, sondern kocht Euch ein Essen, weil ihr eben gerade Hunger habt! Fahrt nicht mit dem Fahrrad, weil es eurem Körper und der Umwelt gut tut, sondern weil ihr einfach keine Lust darauf habt, euch für ein Auto und jede Menge Benzin abzuschuften! Legt den Totholzstapel im Garten nicht dafür an, dass viele verschiedene Arten einen Platz zum Überleben haben, sondern weil ihr keinen Bock habt, das Zeugs zum Wertstoffhof zu bringen!

So in etwa. Ich muss noch ein bisschen üben, fürchte ich, um in den richtigen Anti-Leistungsdruck-Flow zu kommen.

Damit sind wir nun am Ende der Mußestunde angekommen. Aber ich beende diese Mußestunde nun nicht, weil ich denke, dass ich angemessen viel geschrieben habe, sondern nur, weil ich keine Lust mehr habe, weiter zu schreiben!

(Wie gesagt: Üben, üben. üben.)


Eins noch zum Schluss: Hier ist ein Video von einer 106-Jährigen, die seit 100 Jahren jeden Tag Klavier spielt. (Wenn ihr es anschaut, denkt daran: Ihr seht es euch nicht an, um irgendetwas Kluges daraus zu lernen, sondern nur, weil ihr Lust habt, euch ein Video von einer 106-Jährigen anzusehen, die seit 100 Jahren jeden Tag Klavier spielt. Ha.)

Und nun: Schönes Wochenende.
Erholt euch richtig gut.

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