Es war ein sonniger Tag im Sommer des Jahres 2014. Ich war bester Dinge, vergnügt und motiviert, als ich an jenem Tag zu meinem Job als Redakteurin bei einer Tageszeitung fuhr. Einige Stunden später kehrte ich am Boden zerstört nach Hause. Ich setzte mich auf einen Stuhl mitten in der Küche und erzählte meinem Freund kurz, was an jenem Tag passiert war. Dann fing ich hemmungslos zu weinen an. Ich kann mich noch gut an diese Situation erinnern, an die Hilflosigkeit meines Freundes, der mich trösten wollte, aber nicht so genau wusste, was er eigentlich tun sollte. Denn es war ja nichts "Schlimmes" passiert. Ich war einfach nur: entfristet worden.
Ich war also unbefristet angestellt.
Angestellt für immer.
Diese Vorstellung war so furchtbar für mich, dass ich in eine tiefe Verzweiflung stürzte.
Ich weiß, für viele Menschen ist die "Entfristung" das erste große Ziel in ihrer beruflichen Karriere. Ich kann das auch gut nachvollziehen. Wenn man seinen Traumjob gefunden hat und ihn für immer behalten will, ist das ja das wichtigste Ziel überhaupt. Denn man bekommt mit der Entfristung die Bestätigung: Ja, wir wollen Dich hier haben! Ja, Du darfst für immer hier bleiben! Ja, Deine Arbeit ist wertvoll und wichtig! Das ist sicherlich ein sehr schönes Gefühl.
Nur: Bei mir war es nicht der Traumjob. Selbst auf der Liste der Jobs, die ich irgendwann einmal ganz lose in meinem Kopf angelegt hatte, für den Fall, dass ich nach dem Studium tatsächlich doch in einem Büro würde arbeiten müssen, lag er nur auf Platz 3. Platz 1 wäre ein Job bei (irgend-)einem Magazin gewesen, Platz zwei ein Job in einem Verlag, erst auf Platz drei kam der Job bei einer Tageszeitung. Dort landete ich also, und sogar "nur" in einer Lokalredaktion. Doch mit den Wunschlisten ist es (zumindest bei mir) so: Wenn man so oft abgewiesen wird, nach so vielen Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen, erscheint einem dann die Erfüllung des zumindest dritten Jobs auf der Wenn-man-schön-fest-arbeiten muss-dann-irgendwo-hier-Liste fast wie Magie. Endlich! Endlich hatte mich jemand genommen! Ich war wirklich überglücklich, als ich dort in der Redaktion anfing. 2007 war das.
2014 sah das alles jedoch ganz anders aus. Ich hatte sieben Jahre in jener Redaktion verbracht, hatte all die positiven und negativen Seiten des Jobs als Lokalredakteurin mitbekommen, und vor allem auch alle positiven und negativen Seiten meiner Kolleg*innen. Und so langsam dämmerte mir, dass ganz vielleicht ganz eventuell die negativen Seiten überwogen. Also aus meiner Sicht. Und genau da, zu diesem unmöglichen Zeitpunkt, überbrachte mein Chefredakteur mir persönlich die frohe Botschaft: "Frau Praun, Sie sind entfristet!" Dass ich nicht mit maßloser Dankbarkeit, sondern eher geschockt darauf reagierte, überraschte mich selbst kein bisschen weniger als ihn.
Doch ich konnte nicht anders. Ich fand es einfach furchtbar. Diese Vorstellung, für immer in diesem Büro zu sitzen... Ich hatte jahrelang um mich herum beobachtet, was das mit den Menschen machte. Ein Kollege wollte eigentlich einmal für ein paar Jahre in die USA auswandern (damals war das noch etwas Wünschenswertes), nun steuerte er zwischen Gemeinderatssitzungen und Basketballspielen hin und her und hackte zwischendurch leidenschaftslos einen Satz nach dem anderen in die Tastatur. Ein anderer hatte lange davon geträumt, einmal für den National Geographic zu arbeiten. Versucht hatte er es jedoch nie. Seine Hoffnung hatte sich in eine hinterlistige Depression verwandelt, die immer dann plötzlich wieder auftauchte, wenn er gerade mal eine fröhliche Phase hatte. Der dritte hatte es sich eigentlich am besten eingerichtet: Er erschien morgens kurz, klatschte schnell ein paar Seiten hin und war so hurtig wieder verschwunden, dass man an manchen Tagen nur anhand der schon fertig gestellten Seiten feststellen konnte, dass er tatsächlich schon anwesend gewesen sein musste. Allerdings verbrachte er seine - somit sehr, sehr ausgiebige - Freizeit nur damit, sich sämtliche Sportübertragungen aus aller Welt im Fernsehen anzusehen. Naja.
Solche Menschen also saßen um mich herum. Klar, sie waren viel älter als ich, und klar, man bleibt nicht immer jung und verträumt, und klar, jeder Job hat auch seine anstrengenden und langweiligen Seiten, ja, ja, okay, weiß ich alles. Trotzdem fiel es mir am Tag der Entfristung wie Schuppen von den Augen: So will ich nicht leben!
Und: Ich wollte doch eigentlich ganz anders leben!
Und: Ich wollte doch nie ins Büro!
Ja, tatsächlich. Schon während der Schulzeit dachte ich mir: Nur niemals im Büro landen. Während des Studiums arbeitete ich sehr viel in der Gastronomie, und so unterschiedlich wir dort auch alle waren, in einer Sache waren wir uns alle einig: Nur niemals im Büro arbeiten müssen.
Wie war ich dann dort gelandet?
Nun: Es war mein Plan B.
Und so lange es einen Plan B gibt, werden wir auf diesen Plan B zurückgreifen. Das behauptet zumindest Courtney Love. Und vielleicht hat sie ja in dieser einen Sache recht.
Love sagte in einem Podcast:
“If I didn’t do what I did, I’d probably be a costume designer. Which—I never wanted a plan B, and when I got offered that job, I literally threw it at a friend. Because if you have a plan B, you’re gonna do the plan B. That’s always a truth.”
“Wenn ich nicht das gemacht hätte, was ich gemacht habe, wäre ich vermutlich Kostümbildnerin geworden. Wobei - ich wollte nie einen Plan B haben, und als mir dieser Job angeboten wurde, habe ich ihn buchstäblich einer Freundin aufgedrängt. Denn wenn Du einen Plan B hast, wirst Du den Plan B durchführen. Das ist eine unumstößliche Wahrheit.”
Bei mir wäre Plan A gewesen: Sich gleich selbstständig machen. Schreiben, schreiben, schreiben. (Am liebsten einen Roman.) Bisschen zeichnen, bisschen reisen, bisschen nichts machen. Vielleicht nebenher in der Gastro arbeiten (das habe ich früher gerne gemacht.)
Plan B dagegen war: Oder es mal mit einem “echten” Job versuchen. Bei dem man regelmäßig Geld verdient. Dann eben, tja, muss wohl sein, im Büro. Aber wenigstens was mit Schreiben! (Immerhin.)
Aber die Frage ist doch: Warum nur bin ich gleich auf Plan B umgestiegen, ohne auch nur kurz mal Plan A auszuprobieren?
Die Antwort lautet: Weil ich schwach bin. Weil es einfacher ist, alles so zu machen wie die anderen. Weil jede Abweichung von der Norm anstrengend ist. Das ständige Sich-Erklären, das ständige Schief-Angeschaut-Werden, aus Mitleid oder aus Neid, je nachdem wie es einem gerade geht. Ich mag das nicht. Ich wurde nicht mit der Einstellung erzogen, dass man einfach das tut, was man am liebsten möchte; ich wurde eher in die Richtung erzogen, dass man eben Pflichten hat und die auch erfüllen sollte. Meine oberste Pflicht lautet: nützlich sein. Und das bin ich nun mal nicht, wenn ich nur so vor mich hinschreibe.
Oder doch?
Langsam, ganz langsam, versuche ich, diese Pflicht mal abzulegen. Oder sie umzudefinieren. Ich habe damals noch drei Jahre gebraucht, bis ich den entfristeten Job endlich gekündigt habe. Nun arbeite ich seit über acht Jahren daran, mir meine Selbstständigkeit so zurecht zu biegen, dass sie wirklich zu mir passt. Ich versuche, mir einen neuen Plan A auszudenken - und mich daran zu orientieren. Das hört sich so einfach an, doch das ist es nicht. Es ist schwer. Es ist hart. Es erfordert höchste Konzentration, nur auf den Plan A zu starren, und nicht nach rechts oder links zu schauen. Und nicht immer auf den verdammten Plan B zu schielen.
Aber es hilft ja alles nichts. Denn was ist schon die Alternative? Plan B eben. Das Leben, das man eigentlich gar nicht so wirklich haben wollte.
Also werde ich mir diesen Satz nun hinter die Ohren schreiben (und über meinen Schreibtisch hängen):
"If you have a plan B, you’re gonna do the plan B."
Danke, Courtney.
Yes, yes, yes! Dieses Gefühl festzuklemmen im Job obwohl man EIGENTLICH ja was ganz anderes wollte.... Dieses fiese "eigentlich". Ich hab mich das erste Mal sooo gesehen gefühlt und mich davor nie so richtig getraut zu auch nur zu denken, als ich im Januar Amie McNee's Substack "I didn't want a job" gelesen habe. Schuppen von den Augen und ganz viele Steine von den Schultern.
Danke für deine Worte und die Erinnerung!
https://open.substack.com/pub/amiemcnee/p/i-didnt-want-a-job?r=2rwmje&utm_campaign=post&utm_medium=web
Deine Zeilen haben mich echt ins Grübeln geschickt. Vielen Dank, Nina! Dein Text ist ein wirklich ehrlicher Gedankenanstoß für mich.