Mußestunde No. 43
Ein Brief an Dich selbst.
Ich habe mich bei einem Club angemeldet. Beim “Homework Club” von Beth Pickens. Ich wollte das schon immer machen, denn ihr Buch “Make Your Art No Matter What” hat mich nachhaltig beeindruckt. Irgendwie scheute ich mich aber, einem Club, in dem echte Künstler*innen sind (und nicht nur Menschen, die so tun als ob - wie ich) beizutreten. Dieses Jahr aber dachte ich mir: Egal. Jetzt mach das doch. Was soll schon passieren. (Was soll schon Schlimmes passieren, meine ich damit. Dass etwas Gutes passiert, das hoffte ich schon.)
Und es passierte etwas Gutes. Ich wurde beauftragt, mir selbst einen Brief zu schreiben. (Nicht nur ich wurde beauftragt, wir alle wurde beauftragt, klar.) Einen Brief von meinem Zukunfts-Ich im Herbst an mein Jetzt-Ich im Februar. Einen echten Brief! Auf Papier! Eine schönere Aufgabe kann man mir ja kaum geben. Also legt ich natürlich sofort los.
Also Kind sammelte ich Briefpapiere. Ich ließ mir ständig welche schenken, zum Geburtstag, zu Weihnachten, egal. Ich war fasziniert von diesen bunt bedruckten Papieren und Umschlägen, einer schöner als der andere - und ich hütete sie wie einen Schatz, in einer extra Briefpapier-Schublade. Das machte ich (und mache ich immer noch) mit vielen Dingen, die mir als zu schön erschienen, um benutzt zu werden: tolle Stifte, extravagante Papiere, lustige Radiergummis, schöne Notizbücher. Irgendwann fing ich selbst an, mir diese Dinge zu kaufen. Ich griff zu, sobald ich ein besonderes Stück sah. Ich hortete Papiere, Stifte, Notizbücher. Ich sammelte diese wertvollen Utensilien, drapierte sie irgendwo als Deko und hielt sie in Ehren. Für einen besonderen Anlass. Was das für ein besonderer Anlass sein sollte? Ich hatte keine Ahnung.
Irgendwann wurde mir glücklicherweise klar, dass diese Logik vollkommen absurd ist. Seitdem zwinge ich mich dazu, sie nicht mehr zu beachten. Ich fing vor ein paar Jahren eher klein an und schleppte immer eines der (extra neu gekauften) bunt bedruckten 2,95-Euro-Mini-Notizbücher vom Hugendubel überall mit mir herum, samt Kugelschreiber, denn dann kann - oder muss - ich mich in der Not an sie wenden. Not heißt: Wenn ich eine Idee habe oder mir jemand einen Tipp gibt, den ich nicht vergessen will. (Ja, ich weiß, es gibt auch Notizen-Apps im Handy, ich besitze natürlich auch eine, aber die ist mit ihren 2457 Einträgen mittlerweile so unübersichtlich geworden, dass sie mir mehr eine Last denn Hilfe geworden ist.) Wenn ich also etwas nicht vergessen will, zücke ich mein Notizbuch und schreibe etwas hinein. (Dieses Konzept ist leider auch extrem fehleranfällig; darüber habe ich in der Mußestunde No. 7 geschrieben.)
Das Wichtige daran aber ist: Ich benutze nun die schönen Utensilien.
Mit dieser neuen Einstellung des Nutzens ging ich also auch daran, den Brief zu schreiben. Ich suchte meine alten Briefpapiere heraus (die ich immer noch besitze, man mag es kaum glauben), zog aus jeder Mappe einen Bogen heraus und fing an, darauf zu schreiben. In meiner normalen Schrift übrigens. (Ich habe drei Schriften: die Geburtstagskarten-Schönschrift, die “normale” Schrift, bei der man die Buchstaben mit etwas Anstrengung schon noch erkennen kann, und die Journalistin-Notizblock-Schrift, die von niemand anderen mehr zu entziffern ist außer von mir selbst; was nur durch eine Art visuelle Gedächtnis möglich ist, mit dem ich durch die bestimmte Anordnung der Hieroglyphen direkt zurück in die Gesprächssituation geworfen werde und somit plötzlich exakt weiß, was auf dem Papier stehen soll.)
Ich schrieb also aus der Sicht meines Herbst-Ichs an mein Jetzt-Ich. Aufgabe war: Das “amazing life” des Herbst-Ichs zu beschreiben, und dann dem Februar-Ich zu sagen, worauf man stolz ist. Der erste Teil war wirklich einfach. Ich musste nur sehr optimistisch an die Sache herangehen, so nach dem Motto, im Herbst ist mein Leben perfekt und alle meine Wünsche sind in Erfüllung gegangen. (Gut, auch dafür braucht man viel Fantasie, aber daran mangelt es mir ja glücklicherweise nicht.) Viel schwieriger war der zweite Teil. Wie bitteschön soll das Herbst-Ich stolz sein auf das Februar-Ich? Umgekehrt wäre es viel einfacher, denn natürlich kann ich jetzt ganz abstrakt stolz sein auf das erfundene Herbst-Ich, dem alles gelungen ist und das das perfekte Leben führt. Aber dass dieses Super-Ich stolz ist auf mein Jetzt-Ich? Arghhh! Tja. Ich quälte mich ein wenig, und dann… vielen mir immerhin ein paar Dinge ein, die ich schon ganz gut hinbekomme. Puh.
Schließlich war mein Brief also fertig. Und nun kommt der irre Dreh an der ganzen Sache: Ich schicke diesen Brief in einem an mich selbst adressierten Briefumschlag in einem etwas größeren Briefumschlag an Beth Pickens - und die wiederum schickt ihn dann im Herbst zurück an mich. Mein Herbst-Ich bekommt also einen Brief von meinem Februar-Ich, in dem das Februar-Ich aus Sicht des Herbst-Ichs schreibt.
Verrückt? Vielleicht. Ich freue mich aber ehrlich gesagt schon wie ein Schnitzel darauf. Um das Ganze noch etwas spektakulärer zu gestalten, habe ich den Umschlag auch noch bunt beklebt. (Ja, wow, oder?)
Stellt Euch vor, dieser Brief landet im Herbst in meinem Briefkasten! Ist das nicht wunderbar?
Noch wunderbarer ist, dass ich bis dahin schon komplett vergessen haben werde, was ich reingeschrieben habe. (Die Hälfte habe ich ehrlich gesagt jetzt schon vergessen.) Vielleicht werde ich bis dahin sogar vergessen haben, dass ich überhaupt einen solchen Brief geschrieben habe. (Das ist mir auch zuzutrauen.) Es wird also eine wirklich schöne, bunte, freundliche Überraschung sein.
Juhu!
Selbstverständlich steckt laut Beth Pickens noch mehr dahinter, irgendwie Kraft und Vision und Manifestation oder so. Ich weiß nicht, ob ich an so etwas glauben soll. Aber: Wer weiß?
Jedenfalls finde ich dieses Konzept so wunderbar, dass ich es euch auch ermöglichen will.
Wer hat Lust? Es ist ganz einfach.
Du schreibst einen Brief von Deinem Herbst-Ich an Dein März-Ich. Wie gesagt: optimistisch, positiv, stolz.
Du steckst diesen Brief in einen Umschlag, adressierst ihn an Dich selbst und klebst eine Briefmarke darauf.
Diesen Umschlag steckst Du in einen anderen Umschlag, adressierst in an mich: Nina Praun, Roseggerstr. 29, 85540 Haar; klebst eine Briefmarke drauf, und schickst ihn los.
Ich bekomme Deinen Brief. Ich hebe ihn auf. Ungeöffnet, selbstverständlich, sicher, geheimnisvoll, in einem Karton.
Und dann: schicke ich ihn Dir im Herbst wieder zu.
Und nun bin ich gespannt, ob demnächst ein Brief von Dir in meinem Briefkasten landet.
Bis dahin also!
Liebe Grüße
Deine Nina.