Neulich habe ich im Zeit-Magazin eine sehr kurze, aber wirklich gute Kolumne über Morgenroutinen gelesen. Die sind ja zur Zeit extrem hip (oder vielleicht waren sie extrem hip, und der Peak des Hypes ist schon wieder vorbei, das weiß ich nicht so genau, denn so tief bin ich in der Selbstoptimierungsszene nicht drin) und es gibt jede Menge Ratschläge dazu, was man alles tun könnte, um eine richtig gute Morgenroutine einzuführen. Erstens natürlich sehr früh aufstehen, damit man die Wohnung/die Welt ganz für sich hat (und ansonsten bekommt man ja die ganzen Routinen gar nicht erst unter). Dann Meditieren oder Yoga (oder beides, nacheinander). Dann Journaling, also Tagebuchschreiben, bestenfalls noch mit einem positiven Aufruf an sich selbt, einer Intention oder gar einem Manifest für den Tag (und das ganze Leben, natürlich). Dann gibt es einen vitaminreichen Saft oder Smoothie oder gar ein ausführliches superhealthy breakfast. Dann macht man sich auf in die Arbeit, aber bitte aufmerksam-sportlich, also entweder per Rad oder zu Fuß, auf jeden Fall mit offenen Augen und Ohren und Nase und Geist. Dann… darf man (glaube ich) weitermachen wie bisher. Wobei: Angeblich ist ja dann der ganze Tag besser als bisher, und man selbst auch, also entspannter, schöner, positiver, glücklicher. (Wobei diese Kurzzusammenfassung für den Bereich kreative Selfcare-Morgenroutine gilt; eine Business-Success-Morgenroutine würde nochmal anders aussehen, vermute ich.)
Aber wasweißichschon. Ich habe es nämlich noch nie geschafft, solche Routinen aufzubauen. Beziehungsweise beizubehalten. Dabei habe ich es wirklich versucht. Ehrlich! Ich weiß, der erste Absatz hat sich so ein bisschen abfällig angehört – doch in meinem innersten Inneren, also ganz heimlich, beneide ich die Menschen, die solche Routinen aufbauen und durchziehen. (Und das Ganze dann auch noch auf Instagram posten und dabei unglaublich entspannt, frisch und kreativ aussehen. So wäre ich auch gerne. Hach.)
Wirklich!
So bin ich aber nicht. Was soll ich nur machen: Gewisse Dinge kann ich einfach nicht ändern. Zum Beispiel meine Überzeugung, die besagt, dass strenge Routinen irgendwie… langweilig sind. So eng. So fest.Und schon ändere ich sie ein wenig ab. Und dann noch ein bisschen mehr. Und dann noch ein bisschen mehr. Bis sie, nach drei Tagen, nicht mehr vorhanden ist. Tja.
Nun wundert Ihr Euch vielleicht, warum ich die Kolumne im Zeit-Magazin über die Morgenroutinen so gut fand. Nun: Weil es der Autorin (Claire Beermann) wohl ähnlich geht wie mir. Sie schrieb:
„Eine Morgenroutine wird gern als gesund angesehen. Tatsächlich wirkt sie auf mich wie ein Ausdruck von Angst - vor dem Unerwarteten. (…)
Nur die Mutigen wagen es, dem Tag ohne Gewissheit darüber zu begegnen, ob er mit einem grünen Saft oder einem Wasserrohrbruch begegnen wird.”
Ha! Beim Lesen habe ich mich sogleich bestätigt gefühlt. Ja, geradezu gelobt, denn so gesehen bin ich dann also eine der Coolen, eine der Anti-Sheldons, denn ich bin flexibel und mutig und überhaupt: bereit für alles mögliche. Eine echte Lebenskünstlerin sozusagen.
Nur ist das leider auch wieder nicht wahr. Denn… abends, tja, abends, da neige ich nureinganzkleinesbisschen zu Routinen. Zum Beispiel bin ich abends ganz gerne vor sechs Uhr zu Hause. Dann esse ich gerne richtig gut zu Abend, also etwas warmes, selbst und frisch gekochtes. Ich mache auch gerne den Ofen an. (Wenn es draußen nicht gerade Sommer ist.) Ich setze mich auch gerne in meinen Lesesessel und lese ein bisschen. Wenn ich ganz entspannt bin, meditiere ich da auch gerne ein bisschen. (Ja, ja, das sollte man eigentlich immer machen, besonders, wenn man nicht entspannt ist, ich weiß.) Ich mach mir auch sehr gerne einen Chaitee. Und ich sehe auch ganz gerne meine Serie weiter. (Also die, die ich eben gerade sehe.) Und wenn ich ins Bett gehe, lese ich ganz gerne noch.
So sieht also mein Abend aus. Der gewöhnliche Abend zu Hause. Aaaaaaaaber es gibt ja Abende, an denen ich etwas anderes mache. An denen ich mich mit Freunden treffe, Essen gehe, oder ins Kino oder auf ein Konzert oder eine Feier oder oder oder.
Ich liebe diese Abende, diese sozialen Abende da draußen, an denen was passiert. Oder besser gesagt: Ich weiß, dass ich sie liebe. Eigentlich. Das ist eine eher rationale Sache; mein Gehirn sagt mir das. Denn ich fühle es nicht unbedingt immer. Zum Beispiel, wenn ich gerade blöderweise schon zu Hause bin, nun aber wieder das Haus verlassen soll. Und es draußen vielleicht auch noch kalt ist, zumindest kälter als drinnen, und es womöglich noch regnet… Da stehen dann also der Ofen und der Sessel und der Chaitee in meinem Zuhause, und alle drei sehen mich mit großen Augen an und sagen: „Waaaaaaaas? Wieso willst Du denn gehen? Hier ist es doch soooo schön!”
Argh, ich sage es Euch, dann wirkt meine Abendroutine schon sehr verlockend, sehr warm, sehr gemütlich. Und das Abenteuer da draußen wirkt dann irgendwie so abstoßend. So kalt. So ungemütlich. (Hä, wieso Abenteuer, fragt Ihr Euch jetzt? Naja, halooohoo, aus dem Haus gehen, Radfahren, S-Bahn-fahren, womöglich auch noch mit fremden Leuten reden – wenn das mal kein Abenteuer ist! Das sagt zumindest der Lesesessel.)
Wie gut, dass ich aber mittlerweile klüger bin als mein Lesesessel. (Yay!) Ich weiß nämlich mittlerweile, dass es mich unglücklich macht, wenn ich dieser verlockend-wohlig-warmen Routine nachgebe. Ich weiß, dass es sich nur einen Moment lang gut anfühlt – und schon zwei Stunden später bin ich ziemlich unglücklich darüber, dass ich schon wieder in meiner Routinehöhle sitze und schon wieder nichts Neues passiert ist. Also reiße ich mich zusammen und starte hinaus in die abstoßende Ungemütlichkeit da draußen.
Schon nach wenigen Minuten ist die übrigens verschwunden. Und hat Platz gemacht - für das frische Gefühl von Freiheit.
Ich mag also meine Abend-Routinen. Sie tun mir auch gut.
Aber nur, wenn sie nicht jeden Tag stattfinden.
Ihr habt diese Woche sicherlich von dem Brand in Kopenhagens alter Börse gehört - schlimm. Darin war auch eine große Gemäldesammlung, und vermutlich sind einige Gemälde verbrannt. Als ich das hörte, musste ich an dieses Buch denken: “Zauber der Stille” von Florian Illies. Es ist eine Geschichte über Caspar David Friedrich - und vor allem über seine Gemälde. Darin habe ich erfahren, dass sehr, sehr, sehr viele Kunstwerke (nicht nur Friedrichs) in den vergangenen Jahrhunderten verbrannt sind. Feuer ist und bleibt eben Fluch und Segen der Menschheit, oder?
Und nun noch zu etwas Positivem: Vogelgesang! Vielelicht habe ich Euch schon einmal von dem sympathischen und klugen Artenkenner Philipp Herrmann erzählt, dem “Vogelphilipp”. Er weiß wirklich sehr viel über Vogelarten und Vogelstimmen - und möchte vor allem auch dieses Wissen mit allen Menschen teilen. Dafür betreibt er seit einigen Jahren im Frühling die “Vogelstimmen-Hotline” per Whatsapp, mit der man lernen kann, Vogelarten anhand ihrer Gesänge zu erkennen. Es ist ganz einfach: Man nimmt einen Vogelgesang auf, schickt die Aufnahme an die Hotline, und dann antwortet der Vogelphilipp und sagt, welchen Vogel man auf der Aufnahme hören kann. Ja, das ist kostenlos, und ja, das macht er wirklich nur, damit die Menschen die Natur wieder besser kennenlernen. Toll, oder?