Willkommen bei der Mußestunde!
Ich dachte ich mir, vielleicht ist es mal an der Zeit, zu erzählen, wer ich bin, was ich mache - und was Euch hier in der Mußestunde überhaupt erwartet.
(Außerdem habe ich heute einen wirklich guten Newsletter von Cait Flanders gelesen, darüber, dass man offen darüber reden sollte, wer man so ist, was man so macht und was man so machen will. Also tue ich das gleich mal.)
Aaaaaaalso:
Die Mußestunde dreht sich um das kreative Leben. Sie ist der zweiwöchentliche Newsletter für freie Kreative und alle, die es werden wollen. Oder auch nicht.
Ihr ahnt es schon: Ich bin freie Kreative. Ich heiße Nina Praun, bin 45 Jahre alt und wohne am Rande von München. Ich habe Literaturwissenschaften studiert, wurde zur Journalistin ausgebildet und habe dann als Redakteurin gearbeitet. 2017 habe ich gekündigt und bin seitdem selbstständig. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich hauptsächlich mit dem Schreiben von Artikeln, Newslettern, Webtexten, Pressemitteilungen und Social-Media-Posts; ich erstelle auch gerne Redaktionspläne und Websitekonzepte - und ich übersetze überaus gerne Romane. Ich zeichne außerdem, am liebsten mit Feder und Tusche. Daraus werden dann Grußkarten, Poster und Kalender, die ich in meinem Shop verkaufe. Ich bastele Collagen und auch kleine Stop-Motion-Videos (alles von Hand, das ist mir dabei sehr wichtig, ansonsten macht es mir eigentlich keinen Spaß).
Und: Ich schreibe hier in der Mußestunde über das kreative Leben und alles, was dazu gehört. Wie kann man sich Zeit schaffen für die Kreativität? Wie zaubert man sie herbei, wenn man sie braucht? Wie machen das andere, groß(artig)e Kreative? Und was bedeutet das überhaupt, kreativ zu sein?
So, das war die Kurzform.
Für alle, die ein wenig genauer wissen wollen, wie es denn zu all dem gekommen ist, ist hier die ausführliche Form.
Ich schreibe (und lese) für mein Leben gern. Schon immer. (Zumindest seitdem ich lesen und schreiben kann.) Deshalb habe ich nach dem Abi ganz spontan angefangen, Literaturwissenschaften zu studieren. Englische und spanische, denn mit der "hohen" deutschen Literatur stand ich schon immer ein wenig auf Kriegsfuß. Dazu wählte ich im Nebenfach Psychologie, denn auch dieses Thema liebe ich sehr. Irgendwann war ich dann fertig. Mit dem Abschluss Magister Artium. Und hatte keine Ahnung, was ich damit nun anfangen sollte.
Ich blieb also noch eine Zeit in der Gastronomie, in der ich neben Schule und Studium immer schon gearbeitet habe - und die ich ehrlich gesagt auch sehr geliebt habe. Nur: Für immer in der Gastronomie arbeiten, das wollte ich nicht, das wusste ich auch schon ziemlich lange. Es ist einfach sehr, sehr anstrengend, körperlich, und auch menschlich. Zum Beispiel kann man als Bedienung in einem mittelgroßen Lokal etwa jeden Monat ungefähr zwei bis drei neue Leute einarbeiten, von denen dann höchstens (allerhöchstens!) eine bleibt. Wie gesagt: Anstrengend war das. Aber naja, es war ja auch nie mein Traum, Gastronomin zu werden.
Denn mein Traum war: kreativ zu sein. Aber wie? Meine erste Idee nach dem Studium war: in einer Werbeagentur, natüüüüürlich!" Da sind doch alle diesen Kreativen oder? Also machte ich ein Praktikum. Doch schon nach wenigen Tagen war mir klar, dass diese "Arbeit" in der Werbeagentur irgendwie so gar nicht meins war. Mir kam es so vor, als ob alle den ganzen Tag relativ nutzlos herumhingen - nur um dann bis 2 Uhr nachts im Büro zu bleiben und am nächsten Tag stolz davon zu berichten, wie viel Zeit sie wieder mal für die Agentur geopfert hatten. Hä? Also wirklich: Nö. Nach zwei Wochen war ich da wieder raus.
Ich war also weiterhin etwas verloren. Irgendwie ahnte ich schon, dass ich vielleicht schreiben wollte. Aber für einen Roman habe ich mich nie gut genug gehalten, und für Journalismus zu ungebildet. Also vielleicht sollte ich... zum Fernsehen? Na gut, einen Versuch war es wert. Also fing ich ein Praktikum beim "Discovery Channel" in München an. Und das war das Beste, was mir passieren konnte. Nicht, weil ich endlich entdeckte, dass Fernsehen meine wahre Leidenschaft ist (nö), sondern weil ich dort das erste Mal in meinem Leben auf jemanden getroffen bin, der der Meinung war, dass ich "gut" war. In jeglichem Sinne von "gut". Es war mein Chef. Er war ein großartiger Mensch (oder ist es immer noch, hoffe ich) und fand meine Arbeit, wie gesagt, gut, und mich insgesamt auch. Also wollte er mich behalten, in welchem Job auch immer. Den sollte ich mir einfach aussuchen, wie er mir in einem persönlichen Gespräch gegen Ende meines Praktikums erklärte. Ich war baff. Was? Die wollten mich behalten? Und ich sollte mir einen Job... ausdenken? Vor lauter Überraschung fiel mir in dem Moment keine andere Antwort ein als: "Ich will schreiben."
Oh, sagte mein Chef. Aber was denn, wo denn? Ich meinte vorsichtig, vielleicht bei einer Zeitschrift? Nun, so etwas könne er mir leider nicht anbieten, sagte mein Chef. Aber er verstehe das schon, dann sei es eben so. Dann sollte ich mich eben bei Zeitschriften oder Zeitungen bewerben. Und falls das doch nichts werden würde, könnte ich ja wieder zu ihm kommen.
Ich war selig. Jemand hatte mir gesagt, dass ich gut war, und dieser jemand hatte mir auch gesagt, dass ich mich bei Zeitschriften und Zeitungen bewerben dürfe! Wahnsinn. Ich tat also, was mir gesagt wurde, und bewarb mich bei Zeitschriften und Zeitungen. Ein Praktikum, ein Volontariat und eine kurze Übergangszeit als "feste Freie" war ich dann endlich dort, wo ich dachte, immer gewesen wollen zu sein: als festangestellte Redakteurin bei einer Tageszeitung. Zwar nur im Lokalteil, aber immerhin. Dass ich eben doch nicht so unfähig und ungebildet bin, wie ich einst dachte, bewies ich mir dadurch, dass ich dort sogar die Stadtrats-Berichterstattung übernehmen durfte. (Das ist sozusagen die Champions-League der Lokalberichterstattung.)
Nur: Glücklich wurde ich dadurch nicht. Aber warum nur? Ich konnte es mir beim besten Willen nicht erklären. Ich schrieb doch, täglich! Ernsthafte Zweifel an meiner Entscheidung bekam ich an jenem Tag, an dem mir meine Chefin verkündete, dass mein Job nun endlich "entfristet" sei. Sie erwartete wohl Begeisterung und Dankbarkeit, doch ich sagte nur höflich danke, fuhr nach Hause, und fing dort an, laut zu schluchzen. Unbefristet? Heißt das: für immer dort arbeiten? Was für eine Horrorvorstellung!
Es half also alles nichts. Die Redaktion war einfach nicht das, wo ich mein ganzes Leben lang bleiben wollte. Also kündigte ich. Nicht einfach so, erst nach langem Zögern und Sich-mit-der-Frage-herum-quälen. Dann aber war das Ende um so befreiender. Ich war so froh, dass mein Weg endlich nicht mehr festgelegt war; dass ich aus diesem ewigen Kreislauf aus Ausschuss- und Stadtratssitzungen mit dazwischen Faschings-, Oster-, Ferien-, Sommerloch-, Schulanfangs-, Kriegerdenkmal- und Krippenwegs-Berichterstattung wieder herausgefunden hatte.
Als ich wieder frei war, dachte ich mir: Jetzt oder nie. Wenn ich es jetzt nicht mit der Selbstständigkeit probieren würde, wann dann? (Heute weiß ich: Man kann das immer und zu jeder Zeit probieren. Aber damals wusste ich das noch nicht.) Denn das mit der Selbstständigkeit, das war schon länger in meinem Hinterkopf herumgespukt. Also wagte ich es.
Das war Anfang 2018. Nun bin ich also seit sieben Jahren selbstständig. Unglaublich. Man könnte meinen, ich hätte es also mittlerweile heraus, wie das so geht, eine "freie Kreative" zu sein. Aber das habe ich nicht. Ich bin zwar gewissermaßen "erfolgreich" selbstständig (was für mich bedeutet, dass ich all die Zeit weiterhin meinen Mietanteil bezahlt habe, meine Versicherungen, meine Lebensmittel, meine Kleidung, meine Urlaube und meine Steuer (argh) und dabei noch nicht einmal auf meinem Konto ins Minus gerutscht bin (juhuuuu!)) - aber wie ich das gemacht habe: Keine Ahnung. Es ist einfach so passiert.
Was auch bedeutet: Ich habe keinen großen Plan, der hinter allem steht. Obwohl, doch, eigentlich habe ich ihn schon. Er lautet folgendermaßen: Ich verdiene mit "Brotjobs" (also der Auftragsarbeit) so viel Geld, dass ich nebenher meine Kreativität frei ausleben kann, und zwar so lange, bis sich meine Kreativität von selber trägt; bis ich also von der Mußestunde, dem Kreativbuch, meinen Illustrationen, Karten und Postern und wasauchimmernoch leben kann.
Doch dieser Plan ist bisher irgendwie noch nicht so richtig aufgegangen. Denn es ist leider so: Wenn ich Auftragsarbeit habe, ziehe ich sie mit absoluter Disziplin, Hingabe und Effizienz durch. Ich bin wirklich eine unglaublich zuverlässige und engagierte Freelancerin. Doch am Ende eines solchen Tages, solcher Wochen, bleibt leider keine Energie mehr für die Kreativität übrig. (Nur die Mußestunde ziehe ich dann weiterhin durch. Vermutlich wegen des Pflichtgefühls gegenüber meinen Abonnent*innen. Also: Danke an Euch!)
Gibt es dagegen Zeiten, in denen die Aufträge ausbleiben - was ganz normal ist, wie ich in all den Jahren lernen musste - habe ich eine gewisse Unruhe in mir. Die ersten "freien" Tage ohne Auftragsarbeit genieße ich noch, stecke viel Zeit in meine Zeichnungen, in diese Mußestunde, in alle möglichen Ideen. Doch dann kommt ganz schleichend ein klein wenig Angst. Angst davor, dass es dieses Mal anders ist; dass die Aufträge dieses Mal dann doch für immer ausbleiben werden. Dann verbringe ich plötzlich unendlich viel Zeit auf seltsamen Freelancer-Portalen, in denen ich hunderte Auftrags-Ausschreibungen durchlese, mich wild auf alles mögliche bewerbe (was noch NIE geklappt hat!), oder damit, meine Website zum eine Millionsten mal zu verbessern oder gar neu umzuschreiben - bis plötzlich, wie aus dem Nichts, wieder ein toller großer Auftrag auf mich zukommt. Dann seufze ich erleichtert auf und bin überglücklich. Bis ich merke: Mist, aber was ist denn nun wieder mit meinen kreativen Projekten?
Nun ja. So ist das also mit mir und der Kreativität. Ich hoffe, Euch geht es ein wenig besser damit. Aber ich vermute mal eher nicht. Denn wenn ich etwas in den sieben Jahren als freie Kreative gelernt habe, dann ist es das: Wir alle kämpfen mit diesem Ungleichgewicht. Mit dieser Pflicht, Geld zu verdienen und also den Kunden etwas anzubieten, was sie haben wollen - und gleichzeitig dem innersten Wunsch, etwas zu schaffen, was nur aus uns selbst heraus kommt, was wirklich von uns ist, was wirklich Spaß macht, was wirklich uns selbst gefällt. Und nicht (nur) all den anderen.
Ja, ja, es ist nicht so einfach. (Seufz.) Aber das macht nichts. Ich jedenfalls gebe nicht auf. Ich kämpfe weiter. Mit mir (offenbar, ansonsten ist hier in der Selbstständigkeit ja niemand anderes), mit meinen Sorgen und Ängsten und Wünschen und Ideen.
An solchen Tage wie heute, an denen ich diese Mußestunde geschrieben habe, einfach so, in einem Rutsch, und damit alles, was mich gerade so beschäftigt, zack, aus mir herausgelassen habe, an diesen Tagen weiß ich, dass es genau das richtige ist. Dass ich genau so leben und arbeiten will. Und nicht anders.
Also, meine liebe Mit-Kreativen: Dann machen wir wohl weiter so! Dann schreiben wir wohl weiter Essays und Gedichte und Bücher und Lieder, dann musizieren wir wohl weiter und singen, und malen und zeichnen, und töpfern und filmen und fotografieren und sticken und häkeln und stricken und löten und schleifen und kleben und falten und formen und... dann probieren wir es wohl weiter, erschaffen weiter, hoffen weiter.
Denn das ist nun einmal unsere Aufgabe.
Wer sonst würde unser aller Leben so lebenswert machen?
So, und nachdem wir das also geklärt haben, fühle ich mich nun auch bemüßigt, Euch auch bildlich etwas von mir und meinem Leben zu zeigen. Schadet ja nicht, wenn man weiß, mit wem man es hier so zu tun hat, oder?
Das bin also ich:









Und weil wir gerade so schön dabei sind, zeige ich Euch nun noch ein paar meiner Lieblingszeichnungen. (Denn mein Schreiben kennt Ihr ja schon, hier aus der Mußestunde.)
Schwarz-weiß:
Und bunt (letztes Jahr habe ich sehr viele Vögel gezeichnet🤷♀️):
Und das sind einige meiner Lieblingskarten:
Gut.
Schön, dass wir darüber geredet haben.
Aber was macht Ihr denn eigentlich so? Wenn Ihr Lust habt, mir was von Euch zu erzählen, würde ich mich freuen. Zum Beispiel hier unten in den Kommentaren.
Wie sehr ich das alles mit- und nachfühlen kann! Danke fürs offene Teilen!
Oh, liebe Nina, diese Mußestunde spricht mich gerade sehr an, weil mich dasselbe (Un-) Gleichgewicht beschäftigt. Danke für deine Zeilen!