Es ist ja so: Wenn man als freie Kreative arbeitet, sollte man erstens kreativ sein und zweitens damit Geld verdienen. Und damit sind wir schon bei der Krux an der Sache - denn meistens gehen sich diese beide Punkte im Weg um.
Meine Selbstständigkeit als freie Kreative etwa teilt sich ein in drei Bereiche:
Die Auftragsarbeit. Die ist wichtig, da ich mit ihr mein Geld verdiene, meine Miete bezahle, die Künstlersozialkasse, das Essen, meine Freizeitausgaben - also, kurzum: alles. Sie ist deshalb keine wirklich "freiwillige" Sache. Das heißt: Ich versuche zwar, nur Aufträge anzunehmen, die mir auch (grundsätzlich) Spaß machen - aber wenn ich die Wahl hätte, also wenn ich reich geerbt oder im Lotto gewonnen hätte, würde ich sie nicht machen. (Glaube ich. Wer weiß schon, was wirklich passiert, wenn man im Lotto gewinnt.) Ich mache sie also eigentlich für die Auftraggeber*in und bekomme dafür im Gegenzug Geld. Basta.
Die kreative Arbeit. Die ich vollkommen freiwillig mache. Nur weil ich Lust darauf habe und weil sie mir Spaß macht. Sie wird mir (zum allergrößten Teil) nicht bezahlt. Gleichzeitig aber trage ich Teile von ihr nach außen, zeige also Ergebnisse her. Wie etwa: diese Mußestunde. Aber auch einige Zeichnungen oder Illustrationen, die ich auf Instagram poste, oder die auf meine Grußkarten und Kalender kommen. All diese Dinge bringen mir also ab und an auch ein wenig Geld ein. (Und vielleicht sogar irgendwann etwas mehr - drückt mir die Daumen.) Wichtig ist dabei aber: Ich habe die Hoheit darüber, was ich schreibe oder zeichne. Niemand schreibt mir das vor. Und das soll und muss auch so bleiben.
Das öde Drumherum. Also alles, was zu einer Selbstständigkeit eben noch so dazugehört, wie: Buchhaltung, Steuererklärung, E-Mails schreiben, Aufträge suchen, telefonieren, mit Auftraggeber*innen kommunizieren, usw. Furchtbare Sache (aus meiner Sicht), aber leider absolut notwendig, um weiterhin Geld verdienen zu können (siehe Punkt 1). Naja.
Diese drei Teilbereiche meiner Selbstständigkeit gilt es also, zu vereinen. Oder besser: auszubalancieren. Denn jeder einzelne ist sehr wichtig, jeder einzelne braucht Zeit nur für sich, denn ohne ihn geht es nicht. Und das ist eine Tatsache, mit der ich sehr schwer zurecht komme. (Und ich glaube, vielen anderen freien Kreativen geht es da ähnlich.)
Freie Kreative verlieren sich in der Kreativität?
Von wegen!
Das Vorurteil lautet vermutlich: Ach, die freien Kreativen, die befassen sich mit allem möglichen, nur nicht mit dem Geldverdienen, machen, was sie wollen, und wundern sich dann, wenn sie plötzlich pleite sind. Die Wirklichkeit sieht aber ganz anders aus - bei mir und bei all den freien Kreativen, die ich kenne. Nämlich so: Wir befassen uns SO viel mit Punkt 1 und 3, dass Punkt 2 gerne mal übersehen wird.
Kann ja egal sein? Nein. Das ist es eben nicht. Denn ohne den Punkt 2, ohne die freie Kreativität, ohne die Zeit für uns und unsere eigenen Ideen, geht jedwede Kreativität einfach verloren. Sie stirbt sozusagen aus, wenn sie nicht gefüttert wird. Und mal abgesehen davon, dass es dann auch wieder mit Punkt 1 schwer wird, wenn man gar keine Kreativität mehr in sich hat (und somit auch Punkt 3 verschwindet, was ja an sich toll ist, aber dann leider auch nichts mehr bringt), ist der eigentliche Punkt, dass uns dann das ganze Leben irgendwie sinnlos vorkommt. Denn, Überraschung: Wir Kreative brauchen die Kreativität! Wir leben von ihr, wir zehren von ihr, so, wie wir von der Schönheit, der Liebe, eben dem Leben zehren.
Ohne Punkt 2 droht also der kreative Burn-Out. Oder Bore-Out? Schwer zu sagen.
Auch ich bin extrem pflichtbewusst. Die Panik davor, eines Tages unter der Brücke zu landen (ganz gewöhnliches Worst-Case-Szenario einer freien Kreativen) sorgt dafür, dass ich mich hauptsächlich damit befasse, wie denn Geld reinkommt. Nun könnte man denken, gut, das muss man kurz mal machen, wenn man einen neuen Auftrag sucht, aber DANN kann man sich doch wieder mit alldem befassen, was Spaß macht... Ja, stimmt schon. Eigentlich. Aber in Wirklichkeit wieder auch nicht.
Wenn gerade kein Auftrag da ist, kann man ganz frei kreativ sein? Ach, wenn es nur so einfach wäre…
Derzeit zum Beispiel habe ich einen großen Auftrag, an dem ich jeden Tag arbeiten muss. Drei Monate lang. (Dann muss er fertig sein - Deadlines sind ja auch so ein Thema.) Und das mache ich auch, da bin ich sehr pflichtbewusst, wie gesagt. Ich arbeite also jeden Tag erst einmal an dem Auftrag, an Punkt 1. Bis ich mit meinem Tagwerk sozusagen fertig bin. Das dauert mal länger, mal kürzer. Und erst dann wäre ich (theoretisch) bereit, an etwas Punkt-2-Kreativem zu arbeiten. Meistens aber eher nicht mehr, denn dann bin ich schon ausgelaugt. Klar, der Auftrag ist natürlich auch anstrengend, da arbeite ich mit meinem Gehirn und verbrauche auch meine Kreativität. (Wir beachten heute einmal nicht die Tatsache, dass auch Punkt 3 immer wieder zu lange missachtet wird. Hallo, liebe Steuererklärung von 2023, jaha, ich komme bald!)
Gut, nicht so schlimm, werden einige nun sagen, das sind ja nur drei Monate! Dann hast Du ja wieder mehr Zeit für Dich und Deine Punkt-2-Kreativität. Aber das ist leider auch nur die Theorie, denn in der Zeit, in der man gerade keinen großen Auftrag hat (kleine habe ich sowieso immer wieder), ist man ja auch damit beschäftigt, wieder einen großen zu finden. Ich zumindest. Aus Panik davor, dass sonst keiner mehr kommt. Letztes Jahr etwa hatte ich die ganzen Sommermonate über keinen großen Auftrag - und damit soooo viel Zeit. Eigentlich. Denn in Wahrheit spazierte ich von einer Plattform zur anderen, stellte Flyer her, bastelte an meiner Website herum, verschickte meinen Lebenslauf - aus lauter Angst, dass ansonsten kein neuer, großer Auftrag wieder hereinkommt.
Das war ehrlich gesagt vollkommene Zeitvergeudung. Denn der neue große Auftrag kam von ganz anders her - über Empfehlungen, Mund-zu Mund-Propaganda. Wie so oft. Naja. Klüger wäre es also gewesen, in der Zeit mich einfach nur mit der Punkt-2-Kreativität zu befassen. Mich in Geduld zu üben, die Zeit zu genießen, meine echte Kreativität zu nähren.
Aber egal, im Nachhinein ist man ja immer klüger. Und ich will nicht jammern (entschuldigt, dass es aber doch etwas Gejammer war) - denn ich bin höchstzufrieden mit meiner Selbstständigkeit. Ich liebe sie sogar sehr. (Deswegen habe ich ja immer so große Angst davor, dass irgendetwas nicht klappt und ich mich wieder anstellen lassen muss.) Trotzdem ist es oft anstrengend - wegen der Angst, nicht dazu zu kommen, meine Kreativität auszuleben. Dabei bin ich ja genau deswegen selbstständig geworden! Was für ein Teufelskreis.
Ich entlasse Euch natürlich nicht hier und heute mit diesem unguten Gefühl, dass es einfach nur alles anstrengend ist und ich auch nicht weiß, was man dagegen tun soll. Im Gegenteil: Ich weiß es sogar ganz genau. Und zwar schon seit Jahren. Ich ziehe es nur nicht immer durch. Denn es erfordert einfach so viel Mut.
Es gibt jedoch eine Lösung.
Wie immer lautet sie: Prioritäten setzen.
Die Lösung lautet: Der eigenen Kreativität eine absolute Priorität einräumen. Das bedeutet nicht, dass man sich acht Stunden pro Tag für die Kreativität Zeit nehmen muss, und dabei ignoriert, woher das Geld kommen soll. Sondern es bedeutet, sich ganz klar eine Vorgabe zu machen. Zum Beispiel: Ich mache jeden Tag etwas Kreatives, etwas Schönes, was mir Spaß macht, und wenn es auch nur zehn Minuten sind.
Wichtig ist: Es dann auch durchziehen. Komme, was wolle.
Das funktioniert! Wenn man sich daran hält. (Eigentlich ist nur das Daranhalten die Herausforderung.)
Im Detail kann das jeder und jede so machen und planen, wie es einem eben reinpasst. Manche Leute machen sich Stundenpläne, schreiben genau hinein, wann sie die Auftragsarbeit erledigen, wann die Buchhaltung, und wann sie frei schreiben dürfen. Wunderbar! Andere treffen sich online zu Schreibstunden, bei denen dann alle still vorm Computer sitzen und vor sich hin schreiben - auch wunderbar! Andere zeichnen jeden Nachmittag, kurz vor Feierabend, noch zehn Minuten lang in ihr Skizzenbuch, andere eine halbe Stunde in der Früh vor dem Beginn der Punkt-1-Arbeit, andere halten sich jede Woche einen Tag lang dafür frei. Alles wunderbar. So, wie es eben zu einem passt.
Wie ich es mache? Noch nicht so genial, ehrlich gesagt. Ich mag einfach keine Stundenpläne und keine festen Zeiten in der Woche - das war schon immer so. Also habe ich nur diffus einen Plan im Kopf, so wie diese Woche: Die Mußestunde schreiben und das Cover für mein Kreativbuch entwerfen. Das Cover habe ich schon am Dienstag entworfen, sogar nach der Auftragsarbeit, da war ich gerade im Flow, und eine Collage entwerfen ist für mich noch etwas anderes als etwas schreiben. Mir war also klar, dass ich die Mußestunde an einem Tag VOR der Auftragsarbeit schreiben muss. Heute, an einem Freitag, war es soweit. Erst am Freitag. Okay. Aber: Ich habe es geschafft.
Die kleinen Erfolge zählen!
Sagt zumindest meine Kreativität. Und die muss es ja wissen.
Wie inspirierend und klug dieser Artikel ist. Danke dafür. Ich struggele aktuell mit genau deinen Problemen und suche noch nach dem passenden Weg, Punkt 2 in meinem Leben das für mich richtige Maß einzuräumen. Die Brötchen wollen eben leider auch bezahlt werden. Ich sende ganz viel Energie und Kreativität an alle, die hier mitlesen!
Dankeschön, dein Beitrag hat mich grad richtig gepusht. Bin ich also nicht die Einzige ohne "Stundenplan", ich folge dem Flow und meinem inneren Rhythmus.