Es ist Samstagvormittag. Ich nehme mein Handy zur Hand, denn ich weiß, ich muss heute wieder mal in den Social-Media-Kanälen vorbeischauen. Ich seufze. Ich tippe auf Instagram. Es gibt ein paar Herzen, einen Kommentar. Wie nett! Ich like ihn. Dann klicke ich auf den Feed, denn ich weiß, ich muss noch ein paar andere Posts liken, sonst "bestraft" mich Instagram wieder und zeigt meine Posts gaaaar niemand anderem (wobei das eigentlich sowieso schon der Fall ist, weil ich viel zu wenig Zeit auf der Plattform verbringe). Ich sehe ein paar coole, interessante Posts, muss auch mal schmunzeln, und like sie. Dann schließe ich die App. Ich merke: Ich habe schon ein etwas blödes Gefühl. Dann gehe ich auf Facebook. Ein einziger Mensch hat meinen Post gelikt, ein paar mehr die Story. Es gibt keine Kommentare. Ich überlege noch kurz, ob ich in den Feed hineinschauen soll, entscheide mich dann aber dagegen. Ich schließe die App wieder. Nun also noch auf Substack.
Versteht mich nicht falsch: Ich weiß Substack wirklich zu schätzen, ich habe sehr viele Newsletter abonniert, und ich liebe sie alle. Ehrlich. Doch ich lese sie in meinem E-Mail-Account. Denn diese kleine Substack-App wird Instagram oder Facebook immer ähnlicher. Noch ist sie netter, freundlicher, entspannter. Aber irgendwie geht es auch hier schon viel um die Belohnung für das regelmäßige Engagement. Naja. Ich bin also in der App, es gibt ein paar Herzen, ich freue mich. Puh. Dann lese ich noch ein paar Notes. Dann schließe ich auch diese App. Denn jetzt? Jetzt habe ich ein wirklich ungutes Gefühl im Bauch. Und ich weiß, nun wird es wieder eine Viertelstunde dauern, bis das ungute Gefühl wieder weggehen wird. Mindestens. Argh.
Tja. So ist das mit mir und den Sozialen Medien. Ich vertrage sie einfach nicht. Sie sind etwas, was mir ein ungutes Gefühl macht. Wie bei einer Allergie oder einer Unverträglichkeit. Ob es so etwas gibt? SMU: Die Social-Media-Unverträglichkeit.
Dabei habe ich meine "Filterblasen" perfekt nach meinen Wünschen geformt, bei mir gibt es keine schlechten Nachrichten, keine schlimmen Bilder, keine problematischen Themen (die würden mich in solch einer Masse sowieso fertig machen). Bei mir erscheinen nur schöne, kreative, interessante oder künstlerisch wertvolle Posts. Meine Feeds sind also ein einziger Ablauf von Hach- und Aha!- und Ui- Momenten. Und trotzdem macht es mir keinen Spaß dort. Das, was andere Menschen offenbar empfinden, wenn sie auf Social Media sind, diese Glücksgefühle, diese Serotonin-Ausschüttung, dieses Belohnungs-Hormon-Hoch - ich erlebe das alles nicht. Ich spüre da: nichts. Im Gegenteil, wie gesagt, ich bekomme immer ein etwas ungutes Gefühl, wenn ich mich in den Sozialen Medien herumtreibe. Und je länger ich dort bin, desto unguter wird mein Gefühl. (Die Dosis macht das Gift, jaja.)
Nun bin ich aber solo-selbstständig. Und damit ja eigentlich auf die Sozialen Medien angewiesen. Denn dort kann man "Reichweite generieren", die "maßgeschneiderte Zielgruppe" finden oder auch bezahlte Werbung schalten. Na, Ihr wisst ja selbst, was da alles geht. Ich weiß das auch alles. Und trotzdem kann ich mich nicht dazu überwinden, die Sozialen Medien zu nutzen. Also wirklich zu nutzen, am besten jeden Tag etwas posten, etwas kommentieren, viel liken. Eine kluge Strategie verfolgen, eben.
Hat meine Social-Media-Unverträglichkeit also nur Nachteile? Oder vielleicht auch ein paar Vorteile?
Ich sehe es mal so, mal so. Denn mein Leben ist natürlich eine Million Mal einfacher als die Leben all jener, die sich ständig überlegen müssen, wie sie etwas am besten fotografieren/filmen/inszenieren, damit es in ihren nächsten Social-Media-Post hineinpasst. (Und ich sage das keinesfalls abfällig, ich bewundere die Leute, die das mühelos beherrschen!) Ich dagegen lebe einfach so vor mich hin, und niemand sieht dabei zu; also muss ich mir auch keine Gedanken darüber machen, wie das alles gerade aussieht. (Und vor allem: Wie ich dabei gerade aussehe.) Außerdem kann ich alles in meinem Leben nur durch meine eigenen Augen betrachten - und muss nicht durch die Perspektive meiner Follower*innen darauf sehen. Das ist wirklich angenehm! Entspannt, geradezu. Ich bin die letzte auf einem Konzert, die das Handy herauszieht und ein Foto macht. Weil ich eigentlich keins brauche. (Letztendlich mache ich aber doch eins - könnte ja sein, dass ich es ausdrucken und in ein Journal kleben will. Spoiler: Wird aber nicht passieren.) Ich habe praktisch keine Fotos von meinen Ausflügen, Erlebnissen, Geburtstagsfeiern. Das ist andererseits aber auch sehr schade. Wenn ich durch meine Handy-Galerie klicke, sind da fast nur Bilder und Videos von anderen Leuten, die mir auf Whatsapp geschickt wurden - und Screenshots von irgendwelchen Dingen, die ich mir aus irgendeinem Grund merken wollte. (Weiß aber nicht mehr, warum.)
Das war erstens. (Also: Schade, dass ich nicht so viele schöne Bilder aus meinem Leben habe.) Was zweitens noch schade ist: Ich habe keine Community wie all die anderen Leute, die sich ständig auf Insta (oder sonst wo) über ihr Leben austauschen. Sich gegenseitig erzählen, was sie gerade so tun oder tun wollen oder doch nicht tun wollen. Auch das finde ich schade. Ich stelle es mir schön vor, wenn irgendjemand immer live dabei ist bei allem, was ich so tue. Bei mir ist nie jemand live dabei. Außer mir natürlich. Und die Leute, die eben tatsächlich live dabei sind. Wenn ich was mit ihnen mache. Meine Freunde eben. Ist ja auch ganz schön, oder? Und irgendwie echter.
Am Schreibtisch dagegen bin ich ganz allein. Seltsam: Mich stört das aber gar nicht. Ich bin ganz gerne allein. Nicht einsam-allein, also als Mensch ohne Freunde, ohne Austausch, ohne zwischenmenschliche Verbindungen, sondern: entspannt allein. Ich denke ganz gerne alleine darüber nach, was ich nun tun will. Was ich schreiben will. Was ich zeichnen will. Oder auch nicht. Ob ich den Auftrag annehme. Oder auch nicht. Und ich schreibe auch gerne alleine. Zeichne gerne alleine. Ich bin eigentlich ganz zufrieden damit, dass ich allen Freunden erst im Nachhinein erzähle, was ich getan habe. Wie ich entschieden habe. Was ich erlebt habe.
Gut, das könnte ich auf Social Media eigentlich auch. Einfach im Nachhinein erzählen, was passiert ist. Aber darauf habe ich auch keine Lust. Es gibt da einen inneren Widerstand in mir. Es ist ja auch nicht so, dass ich es nicht versucht hätte! Ich habe es versucht. Immer wieder. Ich hätte ja auch sooo gerne viele Follower*innen, die mir jede Menge Herzen schenken und Kommentare da lassen und meine Mußestunde abonnieren und wasweißichwas. Ich bewundere Leute, die sich so etwas aufbauen, eine Gemeinschaft, eine Community, eine ganz eigene kleine Welt. Wie schön muss das sein, denke ich mir dann, wenn man so viele Leute um sich herum hat, die ständig nur darauf warten, was man als nächstes postet - doch genau in diesem Moment dreht sich mir schon wieder der Magen um. Was für ein Druck! Überall diese Erwartungshaltung. Die will ich nicht haben. Also gehe ich eben nur selten auf Social Media.
Ich habe gelesen, dass es anderen Leuten offenbar ganz ähnlich geht. Dass sie sich schlecht fühlen, wenn sie auf Social Media waren. Ausgelaugt. Ich verstehe nicht ganz, warum sie dann noch darauf gehen. Vermutlich aus beruflichen Gründen, okay, klar. Oder es könnte auch so eine Art Sucht sein. Furchtbare Sache, sowas.
Ich weiß es ja auch nicht. Denn wie gesagt: Ich habe ja leider SMU.
Und vielleicht ist das ganz gut so.
So, erst mal ein Like für den Post, den ich gelesen habe, ohne dich auf Instagram zu kennen. Denn ich behandle Substack als ganz eigene Welt! Ich lese hier u. a. gerne die Posts von @Matt Gottesman und @Joel Uili.
Letzterer hat kürzlich in einem Video in aller Seelenruhe erklärt, was ein Content Creator tut und was Menschen mit SMU (um es mit deinen Worten zu sagen) davon unterscheidet:
Content Creators kreieren Content für Social Media Plattformen.
Für alle anderen steht das eigene Werk im Vordergrund - Texte, Geschichten, Bilder, Musik..was immer dieses kreative Werk eben ist.
Für diese anderen Menschen (ich zähle mich zu einem großen Teil dazu, wenn auch ich auf Insta Content kreiere und Werbung für meine Angebote mache) ist es gar nicht wichtig, ständig online zu sein.
Ich finde, das dürfen wir uns bewusst machen: Unsere Werke, Passionen, Ideen & Visionen existieren auch abgekoppelt von Social Media.
Wir hegen und pflegen sie auch, wenn SM morgen den Bach runtergeht. Und das ist ein sehr beruhigender Gedanke, den ich hier teile, weil es mir wichtig ist, nicht weil ich Likes dafür bekommen will.
Hi. Danke für den Text. Für mich ist das eine ganz neue Sichtweise. Ich denke fast, dass es daran liegen könnte, dass du gesund bist 😅 Für mich selbst empfinde ich eine starke Suchtgefahr bei sozial-media-plattformen. Wenn man selber postet noch viel mehr. Vielleicht sind alle die erfolgreich sind, oder zumindest oft posten, irgendwie kaputt und müssen kompensieren. Vielleicht auch eine etwas steile These...